Stellen Sie sich vor, jedes Bauwerk wäre so konzipiert, dass es am Ende seiner Lebenszeit einfach demontiert und als wertvolles Materiallager für neue Bauprojekte genutzt werden kann – fast gänzlich ohne Abfall. Viele Probleme der Bauwirtschaft wären damit gelöst: Ressourcenknappheit, negative Auswirkungen auf Umwelt und Klima, aber auch stetig ansteigende Baukosten. Das ist das Ziel der Kreislaufwirtschaft am Bau.
In diesem Beitrag zeigen wir Ihnen, wie eine zirkuläre Wirtschaft funktioniert, welche Vorteile sie bringt und wie sie in der Praxis erfolgreich umgesetzt wird.
Kreislaufwirtschaft am Bau auf einen Blick
Definition & Bedeutung: Bei einer Kreislaufwirtschaft werden Bauvorhaben so umgesetzt, dass die genutzten Materialien nach Ende der Lebensdauer komplett wiederverwertet oder in den Kreislauf der Natur rückgeführt werden können. Es darf also (nahezu) kein Abfall entstehen.
Wichtige Vorteile: Die Kreislaufwirtschaft schützt die Umwelt, spart wertvolle Ressourcen, senkt die Baukosten, erhält den Wert von Bauwerken, steigert die Wettbewerbsfähigkeit von Baufirmen und schafft zukunftssichere Lebensräume.
Umsetzung: Kreislauforientiertes Bauen startet mit vorausschauender Planung, zieht sich über Ausführung, Nutzung sowie Instandhaltung und endet erst, wenn beim Rückbau alle Materialien wieder getrennt, sortiert und neu verwertet wurden.
Beispiele aus der Praxis: Projekte wie NEST in der Schweiz, das Recyclinghaus in Hannover, die Biotope City Wienerberg und das SOS-Kinderdorf in Altmünster zeigen, wie nachhaltige, kreislauforientierte Bauprojekte aussehen können.
Was ist Kreislaufwirtschaft am Bau?
Die Kreislaufwirtschaft am Bau ist ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell, das darauf abzielt, Baumaterialien effizient einzusetzen, deren Lebensdauer zu maximieren und Abfälle zu minimieren. Ein Bauwerk soll …
Anders ausgedrückt: Im Gegensatz zur linearen Wirtschaft, die dem Prinzip “Take, Make, Waste” (Nehmen, Produzieren, Wegwerfen) folgt, basiert die Kreislaufwirtschaft auf den Grundsätzen “Reduce, Reuse, Recycle” (Reduzieren, Wiederverwenden und -verwerten).
Andere Bezeichnungen für die Kreislaufwirtschaft
Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft hat einige Namen, vielleicht haben Sie auch schon von den folgenden Begriffen gehört:
→ Circular Economy
→ Circular Building bzw. zirkuläres Bauen
→ Cradle-to-Cradle-Prinzip oder C2C (bezeichnet einen perfekten Kreislauf
von Ursprung zu Ursprung)
Wie der ideale Kreislauf nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip aussieht, zeigt die folgende Grafik – einerseits für biologische Güter wie Holz oder Lehm, andererseits für technische Güter wie Elektrogeräte oder Gebäudetechnik:

Bedeutung & Vorteile der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen
Eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zu etablieren, ist für Klima und Umwelt, für die Wirtschaft und nicht zuletzt für uns als Gesellschaft von Bedeutung. Die wichtigsten Vorteile fassen wir im Folgenden für Sie zusammen:
Vorteile des Circular Building für die Umwelt
Eines der Umweltziele der EU bis 2050 ist das Etablieren einer zirkulären Wirtschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde 2020 ein neuer Aktionsplan aufgestellt.
Warum dieser Plan notwendig ist, zeigt z. B. die Erhebung des Statistischen Bundesamts zur Abfallproduktion in Deutschland deutlich. Im Jahr 2022 war die Bauwirtschaft für 54,2 % des gesamten Abfallaufkommens verantwortlich, das entspricht 216,2 Mio. Tonnen.

Das Bauwesen kann mit vorausschauend geplanten Projekten und entsprechendem Recycling demnach mehr bewirken, als alle anderen Branchen zusammen. Derzeit liegt die Verwertungsquote bei 81,8 % – dieser Anteil an Ressourcen wurde recycelt (etwa 70 %) oder zumindest zur Energieproduktion genutzt (etwa 12 %). Der Rest landete auf Deponien.
Wenn die Verwertungsquote erhöht wird, könnte die Bauwirtschaft jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen an wertvollen Ressourcen einsparen.
Auch der Energieverbrauch und Schadstoffausstoß werden beim zirkulären Bauen reduziert. Der Aktionsplan der EU prognostiziert zum Beispiel, dass Treibhausgasemissionen aus der Rohstoffgewinnung, der Herstellung von Bauprodukten und dem Bau bzw. der Renovierung von Gebäuden um 80 % sinken könnten.
Vorteile für die Wirtschaft
Doch nicht nur für Klima und Umwelt ist die Kreislaufwirtschaft vorteilhaft, Bau- und Immobilienunternehmen profitieren außerdem wirtschaftlich davon:
Bedeutung der Kreislaufwirtschaft am Bau für die Gesellschaft
Darüber hinaus hat das Cradle-to-Cradle-Prinzip positive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Beispielsweise erhöht ein Bauwerk aus natürlichen und schadstofffreien Materialien die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen, die darin leben oder arbeiten. Weniger Reparatur- und Sanierungsmaßnahmen wirken sich ebenfalls positiv auf die Zufriedenheit der Be- und Anwohner aus.
Langlebige und modular aufgebaute Gebäude lassen sich außerdem gut an zukünftige Bedürfnisse anpassen, was sie wertvoll für die Stadtplanung und -entwicklung macht. Sie verbessern die Infrastruktur und schaffen lebenswerte Städte und Gemeinden.
Abgesehen davon ist kreislauforientiertes Bauen eine treibende Kraft für die lokale Wirtschaft, da hauptsächlich Materialien aus der Umgebung beschafft und verwertet werden. Es ist also ein Weg, heimische Unternehmen zu stärken und neue Arbeitsplätze zu schaffen – z. B. im Recycling und der Materialaufbereitung.

Strategien für die Kreislaufwirtschaft beim Bauen
Damit eine Kreislaufwirtschaft am Bau gelingt, muss sie vom ersten Entwurf bis zum Abriss mitbedacht werden. Verschiedene Strategien und Maßnahmen unterstützen die konsequente Umsetzung.
1. Planung
Die Bauplanung ist entscheidend für ein funktionierendes Circular Building. Folgende Maßnahmen stellen bereits zu diesem frühen Zeitpunkt einen funktionierenden Kreislauf sicher:

Hürden in der Planungsphase
Hürden in der Planung sind u. a. die höheren Anfangskosten für kreislauffähige Gebäude, die sich jedoch später ausgleichen. Zudem bestehen oft Vorbehalte gegenüber der Qualität von Recyclingprodukten. Oft scheitert es auch am rechtlichen und bürokratischen Aufwand, beispielsweise an der Beantragung von Förderungen. Projektleiter sollten solche Bedenken daher vorab ausräumen und beratend zur Seite stehen.
2. Errichtung
Bevor die Ausführungsphase richtig beginnt, können Bauleiter und Architekten schon bei der Ausschreibung kreislauforientiert arbeiten. Sie können z. B. nur jenen Baufirmen den Zuschlag geben, die auf recycelte Materialien und rückbaubare Bauteile setzen.
Während der Bauphase ist der wichtigste Schritt, sich gut mit allen Beteiligten abzustimmen und gemeinsam den Materialverbrauch und Abfälle zu reduzieren, beispielsweise mit einem System zur getrennten Sammlung von Baustellenabfällen. Mobile Aufbereitungsanlagen ermöglichen sogar das Recyceln direkt vor Ort.
Zudem ist es wichtig, alle Arbeiten lückenlos zu dokumentieren, sodass Nachhaltigkeitsbemühungen nachvollziehbar bleiben. Die Baustellendokumentation hilft außerdem später dabei, die Nutzung und Instandhaltung perfekt auf das errichtete Bauwerk anzupassen und den Kreislauf weiter einzuhalten.

Hürden in der Ausführungsphase
Während der Ausführung besteht die größte Schwierigkeit darin, dass zahlreiche Menschen und Unternehmen aufeinandertreffen, die sich an ein gemeinsames System halten müssen. Deshalb ist es in dieser Phase unumgänglich, gut zu kommunizieren. Wertvolle Tipps dazu verrät Ihnen unser Ratgeber zur Kommunikation am Bau.
3. Nutzung und Instandhaltung
Wenn Gebäude flexibel konzipiert sind, lassen sie sich in der Nutzungsphase leicht an unterschiedliche Anforderungen anpassen und bei Bedarf reparieren oder renovieren. Es gilt nun, ein Nutzungskonzept zu entwickeln, das eine möglichst lange Lebensdauer gewährleistet.
Dazu gehört z. B.:

Hürden in der Nutzungs- und Instandhaltungsphase
Wenn Wartungszyklen nicht eingehalten werden, kann das die Lebensdauer eines Bauwerks verkürzen. Schwierig wird es auch, wenn Instandhaltungsmaßnahmen nicht ordentlich dokumentiert sind: Ein abfallfreier Rückbau funktioniert nur, wenn die erfassten Daten stimmen und keine unangenehmen Überraschungen zum Vorschein kommen.
4. Rückbau und Recycling
Am Ende der Lebensdauer eines Gebäudes wird nicht einfach abgerissen, sondern ein selektiver Rückbau durchgeführt, bei dem die Materialien sortenrein getrennt und zur Verwertung aufbereitet werden. Dieser Prozess nennt sich auch “Urban Mining”. Damit schließt sich der Kreislauf und der Bedarf an neuen Rohstoffen sinkt.
Die zurückgewonnenen Materialien können Sie entweder für eigene Projekte verwenden oder auf einer der zahlreichen Bauteilplattformen anbieten. Einige solche Bauteilbörsen listet z. B. das Gebäudeforum der Deutschen Energie-Agentur auf.

Hürden beim Rückbau
Wie einfach das Recycling ist, hängt von den verbauten Materialien ab. Sind aufwändige und teure Aufbereitungsverfahren nötig, machen diese den Prozess oft unrentabel. Das ist etwa bei Verbundbaustoffen der Fall, die sich nur schwer trennen lassen. Deshalb ist es so wichtig, den Rückbau schon bei der Planung mitzudenken.
Zudem sind viele Technologien zum abfallfreien Rückbau noch in der Entwicklung – z. B. automatisierte Sortieranlagen oder digitale Materialkataster (globale Online-Plattformen, die Materialdaten von verschiedensten Bauprojekten sammeln). Je mehr kreislauforientierte Projekte umgesetzt werden, desto ausgereifter wird aber auch die Technologie.
Beispiele für Circular Building aus der Praxis
Zahlreiche Bauunternehmer setzen bereits auf eine Kreislaufwirtschaft beim Bauen. Dafür muss man gar nicht lange suchen – im DACH-Raum sind viele spannende Projekte zu finden. Zum Beispiel:
NEST in der Schweiz
NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) ist ein modulares Forschungsgebäude, das von den beiden Schweizer Instituten Empa und Eawag betrieben wird. Es besteht aus einem zentralen Rückgrat (Backbone), das flexibel mit verschiedenen Forschungseinheiten (Units) befüllt werden kann.
Ist ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt abgeschlossen, kann die jeweilige Unit wieder abgebaut und durch eine neue ersetzt werden. Passenderweise forscht das NEST an Materialien, Technologien und Konzepten für die Baubranche und trägt so selbst zur Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen bei.
Recyclinghaus in Hannover
Ein etwas kurioses Projekt findet sich in Hannover: ein Wohnhaus, das aus zahlreichen wiederverwendeten Materialien anderer Gebäude errichtet wurde. Unter anderem befinden sich auf den etwa 160 Quadratmetern:
Verantwortlich für das Projekt war das deutsche Planernetzwerk Cityförster.
Biotope City Wienerberg
Auch Österreichs Bundeshauptstadt fördert immer mehr Kreislaufprojekte. Eines davon ist die Biotope City Wienerberg. Sie befindet sich auf einem ehemaligen Fabrikgelände im Süden der Stadt, dessen alte Bausubstanz für das Projekt wiederverwertet wurde.
Die fertiggestellte Biotope City umfasst knappe 1000 Wohnungen, eine Schule und einen Kindergarten, ein Einkaufszentrum und tausende Quadratmeter an Gärten, Parks, grünen Fassaden und Dächern. Die Ziele: weniger Hitzebelastung, höhere Biodiversität, mehr Grün für die Bewohner und ein intelligentes Regenwassermanagement.
Von Anfang an wurde das Projekt durch ein interdisziplinäres Forschungsteam begleitet, das mit technischem Know-how zur Seite stand, erprobte Lösungen anbot und als Vermittler zwischen verschiedenen Projektteams fungierte.
BauMaster-Referenzprojekt: SOS-Kinderdorf in Altmünster
Wir selbst bemerken ebenfalls einen Trend hin zum nachhaltigen Bauen bei unseren Kunden und Partnern. Ein glänzendes Beispiel dafür ist ein Großprojekt für das SOS-Kinderdorf in Altmünster von LibertydotHome: ein Neubau mehrerer Häuser auf insgesamt 4.000 Quadratmetern, die einen sicheren und harmonischen Wohnraum für 100 Kinder und Familien in Not bieten.
LibertydotHome arbeitet modular und besonders gerne mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz, um eine gesunde und lebenswerte Umgebung zu schaffen. Für das SOS-Kinderdorf-Projekt kamen noch eine Dachbegrünung, eine PV-Anlage, eine Pelletszentralheizung und ein Salzwasserstromspeicher hinzu.

Mithilfe dieser modernen Technologien sollen die Wohneinheiten möglichst langfristig genutzt werden können. Wenn es schlussendlich doch zum Rückbau kommt, ist Holz außerdem ein leicht recycelbares Material.
Und auch wir leisten mit unserer Software BauMaster einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft am Bau: Denn neben Planung, Materialien, Umsetzung etc. spielte bei diesem Vorzeigeprojekt und vielen anderen der Einsatz digitaler Hilfsmittel eine wichtige Rolle.
Digitalisierung unterstützt die Kreislaufwirtschaft am Bau
Circular Building wird durch zahlreiche innovative Technologien gestützt, darunter BIM, moderne Recyclingsysteme und sogar künstliche Intelligenz. Doch schon die Digitalisierung des Projektmanagements kann die Nachhaltigkeitsbemühungen entscheidend stärken.
Tools wie BauMaster bringen wertvolle Vorteile für eine Kreislaufwirtschaft am Bau:
Trotzdem ist die Digitalisierung der Baubranche nur ein Teil des Gesamtkonzepts. Die ideale Kreislaufwirtschaft entsteht dann, wenn möglichst viele Köpfe zusammenkommen und verschiedenste Branchen, Behörden, Unternehmen und Fachexperten gemeinsam an kreislauffähigen Lösungen tüfteln.