Kreislaufwirtschaft am Bau: Bedeutung, Vorteile & Praxisbeispiele

Geschrieben von

Marie Zanzerl

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BaublogDigitalisierung Baubranche

Stellen Sie sich vor, jedes Bauwerk wäre so konzipiert, dass es am Ende seiner Lebenszeit einfach demontiert und als wertvolles Materiallager für neue Bauprojekte genutzt werden kann – fast gänzlich ohne Abfall. Viele Probleme der Bauwirtschaft wären damit gelöst: Ressourcenknappheit, negative Auswirkungen auf Umwelt und Klima, aber auch stetig ansteigende Baukosten. Das ist das Ziel der Kreislaufwirtschaft am Bau.

In diesem Beitrag zeigen wir Ihnen, wie eine zirkuläre Wirtschaft funktioniert, welche Vorteile sie bringt und wie sie in der Praxis erfolgreich umgesetzt wird.

Was ist Kreislaufwirtschaft am Bau?

Die Kreislaufwirtschaft am Bau ist ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell, das darauf abzielt, Baumaterialien effizient einzusetzen, deren Lebensdauer zu maximieren und Abfälle zu minimieren. Ein Bauwerk soll …

  • mit möglichst wenig Materialverbrauch errichtet,
  • so lange wie möglich genutzt bzw. instand gehalten
  • und beim Abriss vollständig wiederverwertet werden, um mit den Ressourcen später neue Gebäude zu errichten.

Anders ausgedrückt: Im Gegensatz zur linearen Wirtschaft, die dem Prinzip “Take, Make, Waste” (Nehmen, Produzieren, Wegwerfen) folgt, basiert die Kreislaufwirtschaft auf den Grundsätzen “Reduce, Reuse, Recycle” (Reduzieren, Wiederverwenden und -verwerten).

Wie der ideale Kreislauf nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip aussieht, zeigt die folgende Grafik – einerseits für biologische Güter wie Holz oder Lehm, andererseits für technische Güter wie Elektrogeräte oder Gebäudetechnik:

Kreislaufwirtschaft am Bau c2c

Bedeutung & Vorteile der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen

Eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zu etablieren, ist für Klima und Umwelt, für die Wirtschaft und nicht zuletzt für uns als Gesellschaft von Bedeutung. Die wichtigsten Vorteile fassen wir im Folgenden für Sie zusammen:

Vorteile des Circular Building für die Umwelt

Eines der Umweltziele der EU bis 2050 ist das Etablieren einer zirkulären Wirtschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde 2020 ein neuer Aktionsplan aufgestellt.

Warum dieser Plan notwendig ist, zeigt z. B. die Erhebung des Statistischen Bundesamts zur Abfallproduktion in Deutschland deutlich. Im Jahr 2022 war die Bauwirtschaft für 54,2 % des gesamten Abfallaufkommens verantwortlich, das entspricht 216,2 Mio. Tonnen.

Kreislaufwirtschaft am Bau  Abfallaufkommen 2022

Das Bauwesen kann mit vorausschauend geplanten Projekten und entsprechendem Recycling demnach mehr bewirken, als alle anderen Branchen zusammen. Derzeit liegt die Verwertungsquote bei 81,8 % – dieser Anteil an Ressourcen wurde recycelt (etwa 70 %) oder zumindest zur Energieproduktion genutzt (etwa 12 %). Der Rest landete auf Deponien.

Wenn die Verwertungsquote erhöht wird, könnte die Bauwirtschaft jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen an wertvollen Ressourcen einsparen.

Auch der Energieverbrauch und Schadstoffausstoß werden beim zirkulären Bauen reduziert. Der Aktionsplan der EU prognostiziert zum Beispiel, dass Treibhausgasemissionen aus der Rohstoffgewinnung, der Herstellung von Bauprodukten und dem Bau bzw. der Renovierung von Gebäuden um 80 % sinken könnten.

Vorteile für die Wirtschaft

Doch nicht nur für Klima und Umwelt ist die Kreislaufwirtschaft vorteilhaft, Bau- und Immobilienunternehmen profitieren außerdem wirtschaftlich davon:

  • Kosteneinsparungen: Wer sparsam mit Materialien umgeht und weniger sanieren muss, spart Bau- und Erhaltungskosten. Durch Recycling sinken zudem die Ausgaben für Abfallentsorgung. Gleichzeitig werden Baufirmen unabhängiger von Rohstoffpreisschwankungen.
  • Immobilienwert: Gebäude, die lange bestehen und sich fast verlustfrei rückbauen lassen, behalten langfristig ihren Wert.
  • Wettbewerbsfähigkeit: Nachhaltigkeit ist für Bauherren ein immer stärkeres Argument, wenn sie sich für einen Anbieter entscheiden. Investoren für größere Projekte suchen ebenfalls nach zukunftssichere Anlageobjekten (z. B. mithilfe der ESG-Kriterien).
  • Innovation: Für eine zirkuläre Wirtschaft braucht es neue Technologien und Methoden. So steigt die Innovationsstärke und -bereitschaft der Baubranche.

Bedeutung der Kreislaufwirtschaft am Bau für die Gesellschaft

Darüber hinaus hat das Cradle-to-Cradle-Prinzip positive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Beispielsweise erhöht ein Bauwerk aus natürlichen und schadstofffreien Materialien die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen, die darin leben oder arbeiten. Weniger Reparatur- und Sanierungsmaßnahmen wirken sich ebenfalls positiv auf die Zufriedenheit der Be- und Anwohner aus.

Langlebige und modular aufgebaute Gebäude lassen sich außerdem gut an zukünftige Bedürfnisse anpassen, was sie wertvoll für die Stadtplanung und -entwicklung macht. Sie verbessern die Infrastruktur und schaffen lebenswerte Städte und Gemeinden.

Abgesehen davon ist kreislauforientiertes Bauen eine treibende Kraft für die lokale Wirtschaft, da hauptsächlich Materialien aus der Umgebung beschafft und verwertet werden. Es ist also ein Weg, heimische Unternehmen zu stärken und neue Arbeitsplätze zu schaffen – z. B. im Recycling und der Materialaufbereitung.

Kreislaufwirtschaft am Bau Vorteile der Circular Building

Strategien für die Kreislaufwirtschaft beim Bauen

Damit eine Kreislaufwirtschaft am Bau gelingt, muss sie vom ersten Entwurf bis zum Abriss mitbedacht werden. Verschiedene Strategien und Maßnahmen unterstützen die konsequente Umsetzung.

1. Planung

Die Bauplanung ist entscheidend für ein funktionierendes Circular Building. Folgende Maßnahmen stellen bereits zu diesem frühen Zeitpunkt einen funktionierenden Kreislauf sicher:

  • bestehende Gebäude sanieren und modernisieren (statt Neubau)
  • verbindliche Mindestkriterien und Zertifizierungsstandards definieren
  • umweltfreundliche und langlebige Materialien wählen, z. B.:
    Biomaterialien wie Holz, Stroh und Lehm
    recyclingfähige Stoffe wie Ziegel, Beton, Gips und Asphalt
  • Materialpässe erstellen, die die verbauten Materialien zeigen
  • einfache Demontage schon jetzt mitbedenken (“Design for Disassembly”)
  • Fläche nur so groß wie wirklich nötig planen, um den Flächenfraß zu reduzieren
  • adaptive Architektur und modulares Bauen für eine flexible Gebäudenutzung
  • Lebenszyklusanalysen zur Bewertung der Gebäude-Ökobilanz und langfristigen Umweltauswirkungen durchführen
  • mit moderner BIM-Software und digitalen Bautools arbeiten, die eine optimierte Planung mit minimalem Materialeinsatz ermöglichen
  • in naher Zukunft: KI-Tools für das Bauwesen zum Ermitteln der ökologischsten Variante nutzen
Kreislaufwirtschaft am Bau Wichtige Planungsmaßnahmen für die Circular Building

2. Errichtung

Bevor die Ausführungsphase richtig beginnt, können Bauleiter und Architekten schon bei der Ausschreibung kreislauforientiert arbeiten. Sie können z. B. nur jenen Baufirmen den Zuschlag geben, die auf recycelte Materialien und rückbaubare Bauteile setzen.

Während der Bauphase ist der wichtigste Schritt, sich gut mit allen Beteiligten abzustimmen und gemeinsam den Materialverbrauch und Abfälle zu reduzieren, beispielsweise mit einem System zur getrennten Sammlung von Baustellenabfällen. Mobile Aufbereitungsanlagen ermöglichen sogar das Recyceln direkt vor Ort.

Zudem ist es wichtig, alle Arbeiten lückenlos zu dokumentieren, sodass Nachhaltigkeitsbemühungen nachvollziehbar bleiben. Die Baustellendokumentation hilft außerdem später dabei, die Nutzung und Instandhaltung perfekt auf das errichtete Bauwerk anzupassen und den Kreislauf weiter einzuhalten.

Kreislaufwirtschaft am Bau Wichtige ERrichtungsmaßnahmen für Circular Building

3. Nutzung und Instandhaltung

Wenn Gebäude flexibel konzipiert sind, lassen sie sich in der Nutzungsphase leicht an unterschiedliche Anforderungen anpassen und bei Bedarf reparieren oder renovieren. Es gilt nun, ein Nutzungskonzept zu entwickeln, das eine möglichst lange Lebensdauer gewährleistet.

Dazu gehört z. B.:

  • vorausschauende Wartungsplanung im technischen Gebäudemanagement – mithilfe der Gebäudedaten aus Planung und Errichtung
  • energiesparender Betrieb der Gebäudetechnik, ggf. Aufrüstung
  • Früherkennung und Behebung von kleineren Schäden
  • Einsatz von Recyclingmaterialien bei Sanierungsmaßnahmen
  • Dokumentation aller Wartungsarbeiten und Materialänderungen#
  • Umbau und Weiternutzung statt Abriss von nicht mehr benötigten Gebäuden
Kreislaufwirtschaft am Bau Nutzungs- und Instandhaltungsmanahmen für Circular Building

4. Rückbau und Recycling

Am Ende der Lebensdauer eines Gebäudes wird nicht einfach abgerissen, sondern ein selektiver Rückbau durchgeführt, bei dem die Materialien sortenrein getrennt und zur Verwertung aufbereitet werden. Dieser Prozess nennt sich auch “Urban Mining”. Damit schließt sich der Kreislauf und der Bedarf an neuen Rohstoffen sinkt.

Die zurückgewonnenen Materialien können Sie entweder für eigene Projekte verwenden oder auf einer der zahlreichen Bauteilplattformen anbieten. Einige solche Bauteilbörsen listet z. B. das Gebäudeforum der Deutschen Energie-Agentur auf.

Kreislaufwirtschaft am Bau Rückbaumaßnahmen Circular Building

Beispiele für Circular Building aus der Praxis

Zahlreiche Bauunternehmer setzen bereits auf eine Kreislaufwirtschaft beim Bauen. Dafür muss man gar nicht lange suchen – im DACH-Raum sind viele spannende Projekte zu finden. Zum Beispiel:

NEST in der Schweiz

NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) ist ein modulares Forschungsgebäude, das von den beiden Schweizer Instituten Empa und Eawag betrieben wird. Es besteht aus einem zentralen Rückgrat (Backbone), das flexibel mit verschiedenen Forschungseinheiten (Units) befüllt werden kann.

Ist ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt abgeschlossen, kann die jeweilige Unit wieder abgebaut und durch eine neue ersetzt werden. Passenderweise forscht das NEST an Materialien, Technologien und Konzepten für die Baubranche und trägt so selbst zur Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen bei.

Recyclinghaus in Hannover

Ein etwas kurioses Projekt findet sich in Hannover: ein Wohnhaus, das aus zahlreichen wiederverwendeten Materialien anderer Gebäude errichtet wurde. Unter anderem befinden sich auf den etwa 160 Quadratmetern:

  • eine Holzfassade, die aus Sitzbänken einer ehemaligen Sauna gefertigt wurde
  • eine Außendämmung aus Kakaosäcken eines Schokoladeherstellers
  • Eingangstüren aus einem alten Bauernhaus
  • ein Badezimmer mit Kronkorken-Mosaik aus einer Brauerei und einem Burger-Restaurant

Verantwortlich für das Projekt war das deutsche Planernetzwerk Cityförster.

Biotope City Wienerberg

Auch Österreichs Bundeshauptstadt fördert immer mehr Kreislaufprojekte. Eines davon ist die Biotope City Wienerberg. Sie befindet sich auf einem ehemaligen Fabrikgelände im Süden der Stadt, dessen alte Bausubstanz für das Projekt wiederverwertet wurde.

Die fertiggestellte Biotope City umfasst knappe 1000 Wohnungen, eine Schule und einen Kindergarten, ein Einkaufszentrum und tausende Quadratmeter an Gärten, Parks, grünen Fassaden und Dächern. Die Ziele: weniger Hitzebelastung, höhere Biodiversität, mehr Grün für die Bewohner und ein intelligentes Regenwassermanagement.

Von Anfang an wurde das Projekt durch ein interdisziplinäres Forschungsteam begleitet, das mit technischem Know-how zur Seite stand, erprobte Lösungen anbot und als Vermittler zwischen verschiedenen Projektteams fungierte.

BauMaster-Referenzprojekt: SOS-Kinderdorf in Altmünster

Wir selbst bemerken ebenfalls einen Trend hin zum nachhaltigen Bauen bei unseren Kunden und Partnern. Ein glänzendes Beispiel dafür ist ein Großprojekt für das SOS-Kinderdorf in Altmünster von LibertydotHome: ein Neubau mehrerer Häuser auf insgesamt 4.000 Quadratmetern, die einen sicheren und harmonischen Wohnraum für 100 Kinder und Familien in Not bieten.

LibertydotHome arbeitet modular und besonders gerne mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz, um eine gesunde und lebenswerte Umgebung zu schaffen. Für das SOS-Kinderdorf-Projekt kamen noch eine Dachbegrünung, eine PV-Anlage, eine Pelletszentralheizung und ein Salzwasserstromspeicher hinzu.

Kreislaufwirtschaft am Bau BauMaster Kunde Liberty.Home

Mithilfe dieser modernen Technologien sollen die Wohneinheiten möglichst langfristig genutzt werden können. Wenn es schlussendlich doch zum Rückbau kommt, ist Holz außerdem ein leicht recycelbares Material.

Und auch wir leisten mit unserer Software BauMaster einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft am Bau: Denn neben Planung, Materialien, Umsetzung etc. spielte bei diesem Vorzeigeprojekt und vielen anderen der Einsatz digitaler Hilfsmittel eine wichtige Rolle.

Digitalisierung unterstützt die Kreislaufwirtschaft am Bau

Circular Building wird durch zahlreiche innovative Technologien gestützt, darunter BIM, moderne Recyclingsysteme und sogar künstliche Intelligenz. Doch schon die Digitalisierung des Projektmanagements kann die Nachhaltigkeitsbemühungen entscheidend stärken.

Tools wie BauMaster bringen wertvolle Vorteile für eine Kreislaufwirtschaft am Bau:

  • Sie sorgen für einen reibungslosen Bauablauf und sparen dadurch Zeit, Energie und Fahrten zur Baustelle.
  • Dank besserer Kommunikation passieren weniger Fehler und es entstehen weniger Baumängel – dadurch werden Materialaufwand, Verschnitt und Abfälle reduziert.
  • Sie erleichtern die lückenlose Dokumentation und bieten so die perfekte Grundlage für die Nutzung, Wartung und den schließlichen Rückbau von Gebäuden.

Trotzdem ist die Digitalisierung der Baubranche nur ein Teil des Gesamtkonzepts. Die ideale Kreislaufwirtschaft entsteht dann, wenn möglichst viele Köpfe zusammenkommen und verschiedenste Branchen, Behörden, Unternehmen und Fachexperten gemeinsam an kreislauffähigen Lösungen tüfteln.